Freitag, 08.11.2013

Damit behinderte Patienten nicht unter die Räder geraten: Fachtagung „Menschen mit Behinderung im Krankenhaus“

Wer sich als Patient in ein Krankenhaus begibt, der weiß, dass die Eingewöhnung dort mitunter Zeit braucht. Ungewohnte Umgebung, veränderter Tagesablauf, zuweilen wechselnde Ansprechpartner bei Ärzten, Pflegenden und Therapeuten: Das alles empfindet mancher als anstrengend. Erst recht gilt dies für Menschen mit geistiger Behinderung. Bei ihnen, so wissen Fachleute, kann schnell ein Gefühl von Orientierungslosigkeit auftreten – oder sogar die Angst, einem fremden Umfeld hilflos ausgeliefert zu sein.

Um Verbesserungen bei Krankenhaus-Aufenthalten behinderter Menschen ging es bei einer Fachtagung im St. Joseph-Heim Neubeckum. Die Teilnehmer kamen aus Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen.

Ein stärkeres Eingehen auf die Belange von Krankenhauspatienten mit geistiger Behinderung forderte Referent Professor Dr. Michael Seidel, leitender Arzt der Behindertenhilfe in Bielefeld-Bethel.

Erfahrungsaustausch zwischen Mitarbeiterinnen von Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen fand in kleinen Arbeitsgruppen statt.

„Für diese Menschen wollen wir Wege ebnen und bessere Lösungen als bisher finden“, so Anika Schilder von der Franziskus Stiftung, einer großen konfessionellen Trägerin von Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und Seniorenheimen in Nordwestdeutschland. Sie veranstaltete jetzt erstmals eine Fachtagung zum Thema „Menschen mit Behinderung im Krankenhaus“. 60 Mitarbeiter von Hospitälern und Behinderteneinrichtungen kamen dazu ins St. Joseph-Heim nach Neubeckum. Es steht unter dem Dach der Stiftung – ebenso wie weitere Behinderteneinrichtungen in Ahlen und Ennigerloh sowie die Hospitäler in Beckum und Ahlen.

„Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention haben Menschen mit Behinderung Anspruch auf eine Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, derselben Qualität und auf demselben Standard wie andere Menschen“, hob Professor Dr. Michael Seidel aus Bielefeld hervor. Dies sei für die rund 800.000 in Deutschland lebenden geistig Behinderten zwar weitgehend gewährleistet. „Gleichwohl ist für sie ein Krankenhausaufenthalt oft viel undurchschaubarer, komplizierter und beängstigender als für Menschen ohne Behinderung“, so der leitende Arzt der Behindertenhilfe der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Grund dafür seien auch die hochgradig standardisierten und beschleunigten Abläufe in Kliniken – bei starker Technisierung und wenig Zeit für individuelle Zuwendung.

Kliniken, medizinische Fachdisziplinen und die verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus müssten sich in die Lage versetzen, stärker als bisher auf spezielle Belange geistig oder mehrfach behinderter Menschen einzugehen, unterstrich Seidel. „Einstellungen, praktische Kompetenzen und fachliches Wissen bedürfen der Verbesserung“, betonte der Experte. Bedeutsam seien während des Krankenhausaufenthaltes unter anderem mehr Zeit, mehr Zuwendung und mehr Assistenz. Für den damit verbundenen höheren Aufwand benötigten Krankenhäuser allerdings eine angemessene Vergütung.

Für einen „Brückenschlag zwischen Behindertenhilfe und Krankenhäusern“ plädierte Volker Hövelmann, Geschäftsführer der Behinderteneinrichtungen in der Franziskus Stiftung. Eine Verbesserung der Versorgung sei auch ein Beitrag zur politisch angestrebten Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Verena Jäckel, Leiterin von Haus St. Marien am Voßbach in Enniger, und Michael Blank, Pflegedirektor des St. Elisabeth-Hospitals Beckum, gaben jeweils Einblicke in die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Behinderteneinrichtungen und Hospitälern.

In Arbeitsgruppen erörterten die Teilnehmer Einzelfragen und trugen konkrete Optimierungsvorschläge zusammen. Besonders betont wurde die Notwendigkeit direkter, persönlicher Kommunikation, um Ängste abzubauen. Sinnvoll seien auch umfassende Informationen zum jeweiligen Patienten, der nach Möglichkeit von einer betreuenden Vertrauensperson begleitet werden sollte. Ein besseres gegenseitiges Kennenlernen von Behinderteneinrichtungen und Krankenhäusern sowie eine engere Zusammenarbeit seien ebenfalls bedeutsam.

„Wir haben zahlreiche Anregungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Behinderteneinrichtungen und Krankenhäusern gesammelt, die wir nun systematisch auswerten und auf Umsetzbarkeit überprüfen – im Interesse von Patienten mit Behinderung“, zog Anika Schilder ein positives Fazit der Tagung.