Freitag, 14.10.2011

"Wir brauchen die Chirurgen heute, die Sie morgen brauchen"

Der Moderator Patrick Ryg, vom Sender "wm.tv" führte ein Interview mit dem Chefarzt Dr. med. Frank Klammer (l.), zu dem Film "Krankenhäuser ohne Ärzte".

"Der Ärztemangel in Deutschland wird seit einigen Jahren in der Bevölkerung in zunehmendem Maße wahrgenommen, in der Politik diskutiert, in seinen Konsequenzen jedoch nach wie vor zu wenig bedacht. Die Politik hat sich entschlossen, den Arztberuf in die Liste "gefährdeter Berufe" aufzunehmen und den Arbeitsmarkt auch für Länder jenseits der EU mit Abbau bisheriger Hürden geöffnet", erklärt Dr. med. Frank Klammer, Chefarzt der Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie des St. Franziskus-Hospitals in Ahlen. "Eine durchaus fragwürdige Entscheidung, wenn man berücksichtigt, dass die Studentenzahlen innerhalb der Humanmedizin seit Jahren konstant sind, das hieraus resultierende Potenzial von zukünftigen Medizinern in Deutschland jedoch drastisch schwindet", so der engagierte Chirurg.

Besondere Auswirkungen hat dieses Phänomen in seinen Augen insbesondere für die Chirurgie. Am Anfang des Medizinstudiums hat der überwiegende Anteil der Studienanfänger ein starkes Interesse an dem Chirurgischen Fachgebiet. Am Ende des Studiengangs verbleiben gerade einmal 5 bis 10% der Absolventen, die das Chirurgische Fach wählen wollen. Laut Aussage des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen werden pro Jahr rund 1500 Berufsanfänger für das Gebiet der Chirurgie benötigt. Derzeit lassen sich nur 500 Stellen pro Jahr adäquat besetzen. Was führt die Studenten dazu ihren späteren beruflichen Weg trotz initial starkem Interesse nicht im Chirurgischen Fachgebiet zu suchen und welche beruflichen Missstände schrecken die zukünftigen Mediziner in diesem Maße ab?, fragt er. "Die Gründe sind sicherlich innerhalb der Ausbildung und im Berufsleben des Chirurgen selbst zu finden", so Dr. Klammer. Fragt man die Studenten, so ist nach wie vor die Ausbildung zu theoretisch, die Besonderheiten des Chirurgischen Berufes sind nicht dargestellt. Der Beruf des Chirurgen selbst ist nach wie vor mit einer Fülle an, zum Teil, berechtigten Vorwürfen verbunden. In der Zusammenschau existiere eine sogenannte "work-life-balance" im Chirurgischen Beruf nicht. Eine adäquate, strukturierte chirurgische Anleitung und Ausbildung sei nicht gegeben.

In Ahlen nimmt sich der Mediziner seit Jahren dieser Problematik intensiv an. 2009 hatte er, als Landstreicher verkleidet an der Universität Münster um den Chirurgischen Nachwuchs gebettelt - mit Erfolg. 2010 produzierte er mit seinen Chefarztkollegen unter dem Motto " Wir geben unser letztes Hemd" einen "moralisch vertretbaren" pin up-Kalender um für medizinischen Nachwuchs zu werben. In diesem Jahr richtete er sich unter dem Motto "Wir brauchen die Chirurgen heute, die Sie morgen brauchen" mit einem Kurzfilm an die Bevölkerung und die Mediziner von morgen. In drastischer und provokativer Weise werden die Schlüsselbereiche des Chirurgischen Alltags, wie Notfallambulanz - OP - Stationsbetreuung, dargestellt. Was passiert mit den Patienten, wenn im Krankenhaus nichts mehr "passiert", weil Chirurgen nicht mehr zur Verfügung stehen?, fragt er. Diese "Zukunftsversion" will Dr. Klammer nicht erleben. Derzeit sind in seiner Klinik alle Stellen qualitativ hochwertig besetzt. Gelebt wird eine "Eins zu Eins"- Ausbildung der Assistenten. Strukturierte, langjährige Ausbildungskonzepte werden bereits seit langem umgesetzt. Dennoch besteht die Sorge, dass diese "Luxussituation" für das Krankenhaus und die Klinik nicht von Dauer sein könnte.

"Wir brauchen langfristig politisch unterstütze Konzepte, um den Nachwuchs im eigenen Land zu motivieren," so Dr. Klammer. " Die Chirurgie war niemals ein Acht-Stunden-Job und wird niemals auf einen Acht-Stunden-Job zu reduzieren sein. Das muss man wissen und das muss auch so vermittelt werden. Diese Tatsache muss jedoch auch adäquat honoriert werden. Dennoch müssen kurzfristig Konzepte entwickelt werden, die Mitarbeitern in einem Krankenhaus innerhalb der Chirurgie die Möglichkeiten eröffnen chirurgisch tätig zu sein und trotzdem ein zufriedenstellendes Privatleben führen zu können.

"Der Film zeigt, was passieren kann - soweit dürfen wir es in Deutschland nicht kommen lassen!, unterstreicht Dr. Klammer. Das Gespräch und Ausschnitte aus dem Film zum Thema "Krankenhäuser ohne Ärzte?" wird in der Reihe "wm.talk" am Dienstag, 18. November, um 18 Uhr, auf dem Sender "wm.tv", der im Kabelnetz auf der Kabelfrequenz S 18 gesendet wird, zu sehen sein. Unter dem link dl.ff-ms.info/klammer/powerpoint/ kann der Film selbst, über den im Interview gesprochen wird, im Internet abgerufen werden werden.