Mittwoch, 01.10.2014

Mauritzer Krankenhaus-Gespräch 2014: „Gesundheit ist keine Handelsware“

Wie entwickeln sich die Gesundheitssysteme in Europa in den nächsten Jahren? Was ist noch finanzierbar? Welche Folgen hat der demografische Wandel? Und wie wirken sich eine steigende Zahl Älterer und ein bereits jetzt spürbarer Mangel an Nachwuchs in medizinischen Berufen auf die künftige Versorgung aus? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt des diesjährigen „Mauritzer Krankenhaus-Gesprächs“ der St. Franziskus-Stiftung Münster.

Dr. Daisy Hünefeld begrüßte die Gäste.

Dr. Günter Danner referierte über europäische Entwicklungen.

Prof. Dr. Michael Wolffgang blickte auf das zehnjährige Bestehen der Franziskus Stiftung zurück.

Christoph Tiemann war der "Profi-Patient".

Die Ordensschwestern waren gern gesehene Gäste.

Rund 200 leitende Mitarbeiter aus den Kliniken und Einrichtungen der größten konfessionellen Krankenhausgruppe Nordwestdeutschlands kamen dazu jetzt im Marienhaus auf dem Gelände des St. Franziskus-Hospitals Münster zusammen: überwiegend Chefärzte, Pflegedirektoren, Qualitätsbeauftragte und Geschäftsführer. „Lassen Sie uns gemeinsam und in offener, kollegialer Atmosphäre diskutieren und über Perspektiven sprechen“, eröffnete Dr. Daisy Hünefeld vom Stiftungsvorstand die Tagung. Besonders begrüßte sie die zahlreichen anwesenden Franziskanerinnen von Münster-St. Mauritz. Die Schwestern hatten vor zehn Jahren ihre bis dahin ordenseigenen Hospitäler auf die Franziskus Stiftung übertragen.

„Kollektive Sicherungssysteme in Europa erodieren derzeit, und das verunsichert viele Menschen“, stellte Dr. Günter Danner, Europa-Experte der Techniker Krankenkasse und stellvertretender Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel, in seinem Eröffnungsreferat fest. Steuerfinanzierte Modelle der Gesundheitsversorgung wie in Großbritannien, Frankreich und Schweden seien an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit gestoßen und verursachten massive Defizite in den Staatshaushalten. In Süd- und Osteuropa stünden Gesundheitssysteme „im Dauerkonflikt mit der ökonomischen Realität“. In dieser Situation aber allein auf Privatisierung zu setzen, sei ein Irrweg, denn dies würde für viele Menschen zu „sozialer Dramatik“ führen, so der Experte. Bewährt habe sich das deutsche Modell mit seiner Kombination aus Solidarität und Eigenverantwortung. Es basiere nicht nur auf Kapital, sondern zudem auf Werten. „Dies auch deshalb, weil Gesundheit keine beliebige Handelsware ist“, wie Danner betonte.

Einen alarmierenden Ausblick auf die Zukunft der Krankenpflege gab Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland werde in Zukunft massiv ansteigen, die junger Menschen stark abnehmen. Von diesen könnten sich nur wenige eine Berufstätigkeit in der Pflege vorstellen. Bereits jetzt seien viele Pflegekräfte mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden. Dies stelle eine Herausforderung an die politischen Rahmenbedingungen, die Krankenhäuser und die Pflege selbst dar. In Deutschland sei es an der Zeit, einen umfassenden „Masterplan Pflege“ zu etablieren. „Die Zukunft hängt entscheidend davon ab, die richtigen Fachkräfte zu gewinnen“, so Risse.

Dass dies auch unter schwierigen Umständen möglich ist, legte Dr. Frank Klammer dar. Der Chirurg, Chefarzt am St. Franziskus-Hospital Ahlen, betonte, dass junge Assistenzärzte einer systematischen und strukturierten Einarbeitung große Bedeutung beimäßen. Die „Generation Y“ lege zudem Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein angemessenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit. Seien diese Faktoren gegeben, steige die Attraktivität eines Krankenhauses für junge Ärzte erheblich.

Professor Dr. Josef Hilbert, Direktor des Institutes Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen-Bottrop-Recklinghausen, konstatierte für den Krankenhaussektor ein „dynamisches Veränderungsgeschehen, das aber mit einem massiven Bürokratie-Aufbau einhergeht“. Die gesamte Gesundheitsbranche befinde sich derzeit in einem Prozess der Neuausrichtung, so der Soziologe und Arbeitswissenschaftler. Ähnliche Entwicklungen hätten in der Vergangenheit auch andere Wirtschaftssektoren durchlaufen, etwa die Bau- oder die Automobilindustrie. „Die Zukunft wird von neuen Leitbildern, mehr Technik und mehr Digitalisierung gekennzeichnet sein“, prognostizierte der Experte.

Zu Beginn des Mauritzer Krankenhaus-Gesprächs hatte Pater Professor Dr. Michael Plattig den Teilnehmern einen geistlichen Impuls gegeben. „Begegnen Sie Ihren Patienten weder naiv-emotional noch kalt-rational“, so der Rat des Geistlichen Begleiters der Mauritzer Franziskanerinnen. Am Krankenbett sei eine „Begegnung mit Herz“ angemessen, wie sie der heilige Franziskus vorgelebt habe. „Auf diese Weise können sich Seele und Leib verwandeln und heilen“, sagte der Theologe. Professor Dr. Michael Wolffgang, Vorsitzender des Kuratoriums der Franziskus Stiftung, erinnerte anschließend in einem Grußwort an den „tiefen Einschnitt nach 160 Jahren Ordensgeschichte“, den die Übertragung der Krankenhäuser auf die Stiftung vor zehn Jahren für die Mauritzer Franziskanerinnen bedeutet habe. Gleichwohl sei dieser Weg richtig gewesen, um das Apostolat und den Sendungsauftrag der Schwestern weiterzugeben. Mit dem seinerzeit gemeinsam entwickelten Leitbild habe man einen „Wertevorrat und Kompass“ geschaffen, die sich seither bewährt hätten. „Die franziskanischen Werte weiterhin als Identifikation zu vermitteln, ist die Herausforderung der nächsten Jahre“, unterstrich Professor Wolffgang. Zum Abschluss der Veranstaltung setzte Christoph Tiemann vom Placebotheater noch einen humoristischen Akzent als Profi-Patient. Anlässlich des Jubiläums der Übertragung der Krankenhäuser auf die Franziskus Stiftung kamen die Mauritzer Franziskanerinnen und die Teilnehmer des Krankenhaus-Gesprächs anschließend zu einem Begegnungsabend mit gemeinsamem Grillen zusammen.