Bakhtullah kommt aus Kandahar in Afghanistan. Vor zwei Jahren verletzte er sich am Bein. Was zunächst wie eine einfache Wunde erschien, entwickelte sich zu einer schweren Knochenentzündung. Eine Behandlung war in seiner Heimat nicht möglich. Seine Eltern setzten deshalb all ihre Hoffnung in das Friedensdorf Deutschland, das in neun Partnerländern regelmäßig tausende Kinder medizinisch vorsichtet und jährlich etwa 180 von ihnen zur Behandlung in die 200 deutschen Partnerkrankenhäuser holt. Ärzteteams triagieren, entscheiden nach Dringlichkeit und Heilungschance, welche Kinder die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland zu reisen. Das Friedensdorf in Oberhausen wird für die Kinder in der Fremde zur vorübergehenden Heimat, bis sie gesund wieder zurück zu ihren Eltern können.
Bakhtullah aus Afghanistan gehört zu ihnen. Dass der 10-Jährige diese Chance bekommen hat, verdankt er jedoch nicht nur der Medizin, sondern einem Netzwerk, das weltweit einzigartig ist. Jens Große-Weischede, der beim Friedensdorf die Einzelfallhilfe koordiniert, kennt die Geschichten der Kinder, die hierherkommen. „Auf Bakhtullah hätte ohne die Operation ein Leben in Elend gewartet“, sagt er. „Er hätte von Almosen leben müssen – eher schlecht als recht. Jetzt geht er zwar in ein Land zurück, das weiterhin von Armut und schwierigen Bedingungen geprägt ist, aber er hat wenigstens die Chance auf Teilhabe, auf ein Leben, das mehr ist als täglicher Schmerz.“ Denn ohne diese Operation, so erklärt Dr. Schneider, wäre die einzige Alternative irgendwann eine Amputation gewesen. Bakhtullah wäre dann weder geh- noch erwerbsfähig geworden.
Aber jetzt kann er zuversichtlich in die Zukunft schauen. „Der Eingriff hat sehr gut funktioniert“, sagt Dr. Schneider heute zufrieden. Er wirkt erleichtert, aber auch stolz. Schließlich ist es für ihn kein gewöhnlicher Einsatz: Die Behandlung führt er unentgeltlich durch, wie seit nunmehr zwanzig Jahren für Kinder des Friedensdorfs. „Ich habe selbst Kinder“, sagt er. „Wenn man das Leid dieser Jungen und Mädchen sieht, möchte man einfach helfen. Sie sind so dankbar, das gibt einem unglaublich viel zurück.“
Dr. Schneider engagiert sich nicht nur als Mediziner. Als Präsident des Rotary Clubs Recklinghausen-Vest hat er das Friedensdorf in diesem Jahr auch zum Schwerpunkt der Clubspenden gemacht. Was ihn antreibt, ist die Gewissheit, dass ein paar Wochen Behandlung in Deutschland das komplette Leben eines Kindes verändern können – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bevor es für Bakhtullah zurück nach Afghanistan geht, verbringt er nun noch einige Wochen im Friedensdorf in Oberhausen. Erst nach Abschluss der Nachbehandlung und der regelmäßigen Kontrolltermine im Elisabeth Krankenhaus wird er in den großen Charterflug steigen, der einmal im Jahr die gesundeten Kinder zurück zu ihren Familien bringt. Bis dahin lebt er zusammen mit anderen Kindern aus neun verschiedenen Ländern, die alle ähnliche Schicksale teilen. Der Kulturschock soll dabei so gering wie möglich gehalten werden. „Die Kinder sollen hier behandelt werden, aber ansonsten so wenig wie möglich von Deutschland mitbekommen“, erklärt Große-Weischede. „Denn alle gehen wieder zurück. Das ist uns wichtig.“
Für Bakhtullah bedeutet diese Zeit dennoch ein kleines Abenteuer. Auf Station ist er schnell zu einem kleinen Mittelpunkt geworden. Pflegekräfte erzählen schmunzelnd, wie er mal zurückgezogen und beobachtend auf seinem Zimmer sitzt, mal im Rollstuhl lachend über die Flure flitzt oder sein Zimmer in ein buntes Spielzimmer verwandelt. Gespendete Spielzeugautos und andere Spielsachen liegen bereit, und wenn er ein Autorennen veranstaltet, blüht er sichtbar auf. „Das tut auch unserem Team gut“, sagt Dr. Schneider. „Alle wollen ihm helfen, und er bringt einfach Leben auf die Station.“
Der Kontakt zu seiner Familie läuft während der Zeit in Deutschland fast ausschließlich über Briefe. Smartphones besitzen die Kinder nicht, regelmäßiger Austausch ist schwierig. Die Entfernung, die Fremde, das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein – all das ist spürbar. Umso wichtiger sind die Menschen, die ihnen hier begegnen: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Ehrenamtliche, die ihnen Halt geben, ohne dass sie dieselbe Sprache sprechen.
Nach zwei Wochen konnte Bakhtullah das Krankenhaus schon wieder verlassen und ins Friedensdorf wechseln. Er wird noch einige Male zu Kontrollterminen zurückkommen. Doch schon jetzt steht fest, dass er bald wieder auf eigenen Beinen laufen wird – wortwörtlich. Sein Lächeln, wenn Dr. Schneider das Zimmer betritt, erzählt davon, dass Vertrauen auch ohne Worte entstehen kann. Und dass Hilfe manchmal dort beginnt, wo jemand einfach entscheidet: Ich mache das. Und zwar ohne etwas dafür zu verlangen.
Über das Friedensdorf
Das Friedensdorf International wurde 1967 gegründet und ist weltweit einzigartig. Es finanziert sich ausschließlich aus Spenden und ermöglicht Kindern aus Krisenregionen medizinische Behandlung in Deutschland, wenn diese im Heimatland nicht möglich ist.




