Freitag, 26.06.2020

Scotty Pieper nach schwerer Corona-Erkrankung auf dem Weg der Genesung

Laut Statistik gelten in Münster aktuell 712 Corona-Infizierte als genesen. Zu ihnen zählen auch Franz-Josef „Scotty“ Pieper und seine Frau. Doch gesund fühlt sich der besonders bei Münsteraner Fußballfans bekannte Scotty Pieper noch lange nicht: 37 Tage rang er auf der Intensivstation des St. Franziskus-Hospitals mit dem Tod, nun kämpft er sich Schritt für Schritt zurück ins Leben. Den aktuellen Lockerungen der Corona-Maßnahmen steht er skeptisch gegenüber. „Vor diesem Virus ist niemand sicher – nehmt Euch in Acht!“ warnt der frühere Profi-Sportler.

Scotty Pieper und seine Frau Anne Heubrock-Pieper (Mitte) freuen sich über das Wiedersehen mit Vertreterinnen des betreuenden Teams der Intensivstation des St. Franziskus-Hospitals, v.l.n.r.: Nicole Winzer (Assistenzärztin), Dr. med. Angela Ginski (Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin und Oberärztin auf der Intensivstation) und Physiotherapteutin Monika Kroetz (salvea)

Er war Profi-Fußballer beim SC Preußen Münster und erfolgreicher Trainer, er hat in 60 Ferien-Fußballcamps mehr als 5000 Kinder betreut, in Kinderhaus ein Sportgeschäft aufgebaut und vor einiger Zeit das Golfspielen für sich entdeckt: Viele Münsteraner kennen und bewundern Scotty Pieper vor allem wegen seines sportlichen Engagements. „Niemals hätte ich gedacht, dass dieses Virus mich so umwirft“, sagt der 1,96-Mann, der während seines Krankenhaus-Aufenthaltes 15 Kilo abgenommen hat und auch nach dreieinhalb Wochen Früh-Reha beim Gehen noch auf einen Rollator angewiesen ist. Kurz nach dem Lockdown in Münster hatte alles recht harmlos begonnen: Der 61-Jährige fühlte sich schlapp und litt unter leichtem Husten. „Am 22. März, einem Sonntagmorgen, fuhr ich zum Container am UKM, um mich auf Corona testen zu lassen“, berichtet er. Bereits montags erfuhr er, dass der Test positiv war, und begab sich in häusliche Quarantäne. Doch im Laufe der Woche verschlechterte sich sein Zustand rapide: Die Körpertemperatur stieg, das Atmen fiel ihm immer schwerer. „Meine Hausärztin hatte mir einen Finger-Clip gegeben, mit dem ich die Sauerstoffsättigung des Blutes messen konnte“, erläutert Pieper. Als auch dieser Wert immer schlechter wurde, ließ er sich am 29. März ins St. Franziskus-Hospital bringen und musste bereits am folgenden Tag von der Normalstation auf die Intensivstation verlegt werden.

„Anfangs haben wir versucht, Herrn Pieper das Atmen mit Sauerstoff zu erleichtern, aber das reichte bald nicht mehr aus“, sagt Dr. med. Angela Ginski, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin und Oberärztin auf der Intensivstation. So musste Scotty Pieper in ein künstliches Koma versetzt und an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Über insgesamt vier Wochen blieb sein Zustand lebensbedrohlich.  „Bei vielen Corona-Patienten, die beatmet werden müssen, kommt es zu einem schweren und langwierigen Krankheitsverlauf – leider auch bei Herrn Pieper“. Dazu gehören nicht nur die von dem Virus verursachte ausgeprägte Lungenentzündung, sondern auch schwere Blutvergiftungen sowie Blutgerinnungsstörungen und Thrombosen. Schließlich kam es in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag sogar zu einem Herzstillstand. „Das war schon verdammt knapp“, blickt Scotty Pieper zurück, „aber das Team der Intensivstation hat mich rund um die Uhr betreut und immer wieder zurückgeholt.“

Er selbst hat aufgrund des künstlichen Komas keine Erinnerungen an die 37 Tage seiner Beatmung, aber seiner Frau sind sie ins Gedächtnis gebrannt: „Es war eine ganz schlimme Zeit – umso mehr, weil ich Scotty nicht besuchen konnte.“ Selbst positiv auf Corona getestet, musste sie zuerst in häuslicher Quarantäne ausharren, und dann kam das Besuchsverbot in den Krankenhäusern. Wie es ihrem Mann ging, erfuhr sie bei den täglichen Telefonaten mit dem betreuenden pflegerischen und medizinischen Team der Intensivstation. „Die Nachrichten waren lange Zeit so schlecht, dass viele unserer Freunde und Bekannten anfingen, Kerzen für Scottys Genesung anzuzünden“, berichtet sie. Wie oft das Leben von Scotty Pieper an einem seidenen Faden hing, kann die Familie anhand eines „Patiententagebuchs“ nachvollziehen, das auf der Intensivstation des St. Franziskus-Hospitals speziell für Patienten entwickelt wurde, die lange beatmet werden müssen. „Hier werden alle Behandlungsschritte und viele tägliche Beobachtungen eingetragen, Fortschritte genauso wie Rückschläge“, erläutern Assistenzärztin Nicole Winzer und Physiotherapeutin Monika Kroetz, zwei Mitglieder des großen Teams, das Scotty Pieper auf der Intensivstation betreute. „Diese Informationen helfen den Patientinnen und Patienten, die Zeit im künstlichen Koma zu verarbeiten, an die sie keine Erinnerungen haben.“

Für Scotty Pieper endete diese Zeit erst nach vier harten Wochen. Nach einer längeren Aufwachphase konnte er am 5. Juni in eine dreieinhalbwöchige Früh-Reha entlassen werden. „Anfangs war ich völlig kraftlos und konnte mich noch nicht einmal selbständig auf die Bettkante setzen oder eine Flasche Wasser aufdrehen“, sagt der frühere Profi-Sportler, der inzwischen wieder zu Hause ist und nun ambulant weiter betreut wird. Dreimal in der Woche steht Physiotherapie auf dem Programm, außerdem Krafttraining. Inzwischen kann er schon wieder laufen, wenn auch am Rollator, die Hände zittern nicht mehr so stark wie am Anfang, und er hat fünf Kilo zugenommen. „Vor mir liegt noch ein langer, anstrengender Kampf zurück ins normale Leben, aber bin ich froh und dankbar, wieder auf den Beinen zu sein, gut Luft zu bekommen und klar denken zu können“, sagt Pieper. Seine Lungenfunktion liege inzwischen wieder bei über 70 Prozent, und zum Glück habe das Virus bei ihm keine Schäden an Augen, Nerven und Nieren verursacht, wie sie teilweise bei anderen Corona-Genesenen beobachtet werden.

Warum Scotty Pieper durch Corona so viel härter getroffen wurde als beispielweise seine Frau, kann zurzeit niemand sagen. „Ein großes Problem bei der Behandlung der Corona-Patienten ist natürlich, dass wir noch so wenig Erfahrungswerte mit der Krankheit haben“, erläutert Dr. Ginski. „Bisher haben wir relativ wenige Menschen aus den so genannten Risikogruppen intensiv-medizinisch versorgen müssen, sondern vor allem Patienten von Mitte 40 bis Mitte 60, die sonst eigentlich gesundheitlich fit waren.“ Das Risiko zu versterben ist bei Patientinnen und Patienten, die beatmet werden, relativ hoch. Daher betrachtet die Intensivmedizinerin die Lockerungen der Kontaktsperren und das Infektionsgeschehen in den angrenzenden Kreisen mit Sorge – genauso wie Scotty Pieper. „Nehmt Corona ernst“, lautet sein dringender Appell, „diese Krankheit darf man nicht unterschätzen!“ Auch für sein eigenes Leben zieht er klare Konsequenzen aus den Erlebnissen der letzten Wochen. „Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag meines Lebens noch viel bewusster zu genießen“, sagt Pieper. „Und zukünftig werden wir immer am Ostermontag die ganze Familie einladen, um meinen zweiten Geburtstag zu feiern.“